Der weiße Geist des Llandovery-Forest

„Hey. Kannst du mir verraten, was du da machst?“ frage ich den Hund, der hochkonzentriert vor meinem Laptop in unserem kleinen englischen Cottage sitzt. Mühsam tippt er mit den Pfoten auf der Tastatur.
„Ich will auch mal ne Geschichte schreiben“ murmelt er. „Unterbrich mich nicht.“
„Worüber schreibst du denn?“ will ich wissen.
Phil schnauft genervt. Dann setzt er ein schelmisches Lächeln auf.
„Ich erzähle die Legende vom weißen Geist des Llandovery-Forest.“
„What?“
„Yes!“

Ich setze mich neben den Vierbeiner und beginne zu lesen.
„Im Herzen von Wales, jenem sagenumwobenen Landstrich im Westen Englands, dessen Wappen von einem roten Drachen verziert wird, liegt das kleine Städtchen Llandovery. Es grenzt an ein großen Wald voller verwunschener Wege und dunkler Geheimnisse. Viele Meilen tief in diesem Wald, so sagt man, liege ein winziger, jahrhundertealter kleiner Bauernhof. In manchen sternenklaren Nächten, erzählen die Alten, treibe dort der weiße Geist des Llandovery-Forest sein Unwesen. Sein unerkennbares Flüstern und Murmeln hallt düsteren Klagelauten gleich durch die Tannen. In jenen Nächten verstummen alle Tiere und Wesen und verkriechen sich in ihren Höhlen. Nur wenige Lebewesen haben den Geist jemals zu Gesicht bekommen. Er sei schneeweiß und er leuchte im Schein des Mondes. Wenn er dich entdeckt, so sagen sie, rufe er deinen Namen und fordere dich auf, ihm zu folgen. Auch ich, Phil der Tapfere, bin jenem Geist des Nachts begegnet…“

„Nicht schlecht“ nicke ich und muss kichern. „Doch könnte es sein, dass deine Legende einen ganz profanen Ursprung hat. Zum Beispiel, dass da ein kleiner Hund war, der unbedingt mitten in der Nacht rausmusste um ein Kacki zu machen? Dass dieser Hund dann in den tiefen Wald reingerannt ist, weil’s so pressiert hat? Und dass sein Herrchen, nackt bis auf die Unterhose, ihm nachlaufen musste und ihn leise zurückgerufen hat?“

„Mag sein“ meint Phil. „Aber mal im Ernst: Welche Geschichte ist denn cooler und gruseliger? Die von einem halbnackten Saarländer im englischen Wald – oder die vom weißen Geist, der im Llandovery-Forest sein Unwesen treibt? Ich sag nur Storytelling, Alter!“
„Hmmm.“ überlege ich kurz. „Deine Story gewinnt.“
„Siehste.“

„Eine Bitte hätte ich dann doch noch…“
„Welche, my Lord?“
„Ich glaube, der weiße Geist fände es recht cool, wenn er heute Nacht nicht aus seiner Höhle schlüpfen müsste, sondern einfach in Ruhe durchschlafen könnte. Denkste, da kann man was machen?“
„I’ll do my very best.“
„Thanks.“

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