Fischer und Beamte

Es ist mal wieder soweit. Beerdigung. Der Hund erkennt das mittlerweile am Prozedere, welches er mit Neugier verfolgt: Herrchen verschwindet gegen Mittag im Badezimmer und kommt mit Collarhemd die Treppe runter. Im Büro wird die schwarze Soutane übergezogen. Es gibt ein Leckerli zum Abschied. Herrchen verlässt mit Buch und Weihwasserkessel in der Hand das Haus. Business as usual.

Anderthalb Stunden später komme ich zurück und werde schwanzwedelnd begrüßt. Wir liefern uns eine kleine Schlägerei. Der Hund braucht das, weil er so lange alleine bleiben musste. Mir tut es auch gut. Verletzte gibt es keine. Nur hin und wieder ein paar blaue Flecken.

„Sag mal, Carsten?“
„Ja?“
„Warum ziehst du dir jedes Mal dieses seltsame Kostüm an, wenn du auf ne Beerdigung gehst?“
„Weil ich der Pfarrer bin.“
„Häh?“

„Schau mal, Phil“ erkläre ich. „Immer dann, wenn ich einen Gottesdienst leite, ziehe ich mir ein besonderes Gewand an. Meistens eine Albe und ein Messgewand. Bei Beerdigungen eben eine schwarze Soutane.“
„Häh?“

„Eine Albe ist ein weißes Untergewand. Sieht ein bisschen aus wie so ein altmodisches langes Schlafhemd. Das Messgewand ist wie ein großes Kleid, das ich da drüber ziehe. Und die Soutane ist ein schwarzes Kleid mit ganz vielen Knöpfen…“

Phil runzelt die Stirn und überlegt kurz. „Du“ sagt er „Ich hab kein Problem damit. Wenn du in Kleidern und Röcken rumrennen willst, machst du das halt. Ist ja ein freies Land. Und wenn’s bequem ist…“
„Naja. Die Soutane und das Messgewand sind tatsächlich recht bequem. Nur das Collarhemd. Das ist manchmal ein bissl eng um den Hals.“

„Was ich nicht verstehe“ ergänzt der Vierbeiner „ist, warum du dich manchmal so seltsam verkleidest.“
„Ganz einfach. Das ist Dienstkleidung. So wie bei nem Polizisten oder bei nem Arzt. Oder bei nem Bäcker. Es gibt Berufe, bei denen man eine bestimmte Kleidung trägt. Damit zeigt man, wie man gerade unterwegs ist. Als Polizist eben. Oder als Arzt oder als Bäcker…“

„Versteh ich. Aber warum tragt Ihr Priester ausgerechnet Röcke und Kleider und Collarhemden uns so’n Zeug?“
„Das ist ne lange Geschichte.“
„Auf. Erzähl. Aber mach’s kurz.“

„Ok. Die Kurzversion. Vor etwa 2000 Jahren, im römischen Reich. Da haben die Beamten eine Tunika getragen. Ein Gewand. Die Christen haben das übernommen und weiterentwickelt. Ungefähr ab dem 4. Jahrhundert haben dann die Priester ein Messgewand getragen. Daraus ist später, so im 16. Jahrhundert die Soutane entstanden. Die wurde in verschiedenen Formen von Universitätsangehörigen getragen. Richter*innen tragen noch heute eine schwarze Robe…“
„Aha.“
„Etwa im 19. Jahrhundert ist dann das Collarhemd erfunden worden. Quasi eine Kurzvariante der Soutane, mit der die Priester sich von all den anderen Berufen abgrenzen wollten.“

„Aha“ nickt der Hund noch einmal. „Zusammengefasst könnte man also sagen, dass ihr mehr oder weniger in nem uralten römischen Beamtenstyle daherkommt.“
„Jepp. Wenn man’s ganz grob runterbricht, passt das in etwa.“

Phil betrachtet das Outfit, in dem ich vor ihm stehe. Er schüttelt den Kopf.
„Ich find’s irgendwie unpassend.“ meint er schließlich.
„Unpassend? Warum? Ist immerhin eine jahrhundertealte Tradition.“
„Och. Ihr mit euren Traditionen. Denk doch mal kurz nach!“
„Was?“
„Na, du läufst da rum wie ein Beamter aus’m römischen Reich. Oder wie ein Universitätsangehöriger aus dem Mittelalter. Ist DAS wirklich die Message, die du mit deinem Outfit rüberbringen willst? Schaut her, Leute. Da kommt ein Beamter. Ein Professor…“

Ich schnaufe. Irgendwie muss ich dem Vierbeiner zustimmen.
„Naja“ versuche ich einzuwenden „Das ist halt mal die Kleidung, an der man einen Priester erkennt.“

„Also, ich weiß ja nicht“ murmelt der Hund und verstummt für einen Moment.
„Dein neues Hemd!“ ruft er plötzlich mit einem breiten Grinsen.
„Welches neue Hemd?“
„Das Fischerhemd, das du auf Amrum gekauft hast. DAS wäre doch mal ne passende Berufsbekleidung für euch Priester!“
„Häh? Wie jetzt?“

„Ganz einfach.“ erklärt Phil. „Wenn ich deinen Jesus richtig verstanden habe, wollte er doch keine Beamtenkirche gründen?“
„Nee, das wollte er wohl eher nicht.“
„ABER…“ sagt Phil.
„Aber?“
„Er hat seine Jüngerinnen und Jünger losgeschickt und ihnen wortwörtlich gesagt „Ihr sollt Menschenfischer sein!“ So steht’s doch in deiner Bibel.“
„Joa. Das ist korrekt.“

„Eben. Ihr sollt Menschen für die frohe Botschaft gewinnen und keine Paragraphen und Gesetze verwalten. Menschenfischer sollt ihr sein. Draußen auf’m Meer. In der Welt. Da, wo die Wellen hoch schlagen. Da solltet ihr unterwegs sein. Auf nem kleinen, wackeligen Kahn. Nicht am sicheren Schreibtisch.“

„Alter. Phil.“ schnaufe ich erneut. Nicht, weil ich genervt bin. Sondern aus Sehnsucht. „Das wär echt cool. Du weißt aber schon, dass mein Arbeitsalltag mehr dem eines Beamten gleicht. Bei all dem Verwaltungskram, der jeden Tag auf meinem Schreibtisch landet.“

„Weiß ich“ stimmt der Hund zu. „Das ist doch Kacke! Ihr solltet viel mehr raus. Auf’s Meer. Mit nem Fischerhemd statt im Beamtengewand. Und ganz ehrlich: Das Fischerhemd steht dir auch viel besser…“

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