Die Postfrau… und das System

Ding-Dong.
Das Klingeln an der Haustüre lässt uns aufspringen. Den schwarzen Hund, weil er wie immer auf netten Besuch hofft, der ihm Leckerlies bringt. Mich, weil ich weiß, dass heute tatsächlich jede Menge Leckerlies vor der Tür stehen. Ein Blick auf die Klingel-App des Smartphones bestätigt: Die Postfrau ist da.

Ich schicke Phil auf seine Decke und sprinte los um zu helfen. Heute sind es drei große Pakete: 38 Kilo Nassfutter und 20 Kilo Trockenfutter. Beim Ausladen überkommt mich wie so oft ein schlechtes Gewissen. Die Postfrau reagiert gelassen. Sie weiß schon, dass ich Phils Hundenahrung nur Online bestellen kann. Er hat jede Menge Allergien, so dass es im Handel vor Ort kein passendes Futter für ihn gibt. Ich bin froh, dass sie das versteht. Sie ist froh, dass ich ihr beim Ausladen helfe.

Im Hausflur wartet der Hund bereits sehnsüchtig und schnuppert an den orange-leuchtenden Paketen. „Alles für mich?“ fragt er.
„Alles für dich.“
„Tschakka!“ Die Rute wedelt aufgeregt hin und her. „Ich mag die Postfrau und ihr Überraschungsauto.“
„Ich auch.“ erwidere ich. „Die ist echt nett. Und sie tut mir leid.“
„Weil sie so schwer schleppen muss?“
„Es ist ja nicht nur das. Die Angestellten bei der Post und bei den Paketdienstleistern haben jede Menge Zeitdruck und Stress. Ein Knochenjob, der meistens viel zu schlecht bezahlt wird.“

Phil überlegt einen Moment und setzt seinen kritischen Blick auf.
„Naja“ sagt er. „Ganz unschuldig bist du ja nicht…“
„Ich?“
„Du. Ihr. Die Gesellschaft. Ihr wollt immer alles schnell und möglichst billig geliefert bekommen. Da ist es doch klar, dass die Lieferdienste knapp kalkulieren müssen. Wo tun sie das? Natürlich beim Personal. Obendrein macht ihr durch diese ganze Online-Bestellerei auf Dauer die kleinen Unternehmen vor Ort kaputt. Das System ist krank. Und ihr seid ein Teil davon.“

„Moment mal“ beschwere ich mich.
„Willst du dich rausreden?“
„Nein. Überhaupt nicht. Allerdings wäre ich durchaus bereit, etwas mehr zu bezahlen, damit die Post- und Paketleute ein besseres Gehalt bekommen.“
„Du vielleicht“ schnauft Phil. „Du kannst es dir ja auch leisten. Aber überleg mal, wie viele Menschen es sich nicht leisten können. Es gibt doch etliche Knochenjob-Berufe, in denen die Leute viel zu schlecht bezahlt werden. Die müssen jeden Cent umdrehen. Die können eben nicht mal so nebenbei zwei, drei Euro mehr ausgeben. Weder für die Post. Noch für faire Kleidung oder Bio-Lebensmittel und Co.“

Ich warte geduldig ab, während der Vierbeiner sich mehr und mehr in Rage redet.
„Es hilft auch nix, wenn ihr den Leuten bei der Post oder in Pflege klatscht. Das ist ja nett gemeint. Aber nett ist und bleibt halt die kleine Schwester von…“
„Ja. Du hast absolut Recht. Das System ist krank.“

„Sag ich doch!“ ruft Phil. „Solange ihr an eurem System nix ändert und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, braucht ihr euch nicht wundern, wenn die Menschen auf irgendwelche angeblichen Alternativen reinfallen. Weißt du… all diese Knochenjob-Leute… DIE bräuchten ne Lobby. Die bräuchten mutige Politiker*innen, die den Reichen die Stirn bieten und sie in die Verantwortung nehmen.“
Ich nicke.

„Übrigens“ ergänzt der Hund. „Hast du gewusst, dass mehr als 30% der Ärzt*innen und des Pflegepersonals in eurem Land einen Migrationshintergrund haben? Ohne diese Leute würde euer Gesundheitswesen total zusammenbrechen. Du kannst davon ausgehen, dass das in den meisten Knochenjob-Sparten nicht viel anders aussieht. Eure Gesellschaft sollte also verdammt aufpassen, in welche Richtung sie weitertickt…“

„Ach Phil. Hast du eigentlich mal überlegt, in die Politik zu gehen?“ lächele ich.
„Nee-nee. Das ist eure Sache. Lass mich da fein raus. Ist mir zu stressig.“
„Kann ich verstehen.“
„Aber falls ihr nen schlauen Berater braucht. Für ein paar Leckerlies…“
„Ich komm drauf zurück. Versprochen.“

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