Unglaublich und verrückt

„Cooles Graffiti“.
Der schwarze Hund hat sich wieder mal von hinten angeschlichen und checkt meinen Computerbildschirm.
„Find ich auch. Musste der KI ganz schön viel erklären, bis sie es so ausgespuckt hat, wie es sein soll.“

Mit einem kritischen Blick mustert Phil das künstlich generierte Kunstwerk. Ein heruntergekommenes Haustor ist da zu sehen. Verziert mit buntem Graffiti. Unschwer zu erkennen: Jesus in der Mitte, eingerahmt von zwei Frauen. Das Trio strahlt Freude aus. Und freundschaftliche Zuneigung.

„Eigentlich schade“ bemerkt er.
„Was?“
„Na, dass es nur ein KI-Bild ist. Hättest ja mal selbst zur Farbdose greifen können.“
„Und damit die weiße Kirchenwand besprühen?“
„Warum nicht?“
Ich muss kichern. „Naja. Ob die Leute es so cool fänden, wenn der Pfarrer ihre Kirche mit Graffiti verschönert? Das Denkmalamt wäre sicher not amused.“
„Ach. Die Leute und ihre Befindlichkeiten. Einfach machen, sag ich da nur“ empfiehlt der Hund. Dann hakt er nach„A propos machen: Was machst Du denn mit dem Bild?“

„Schau mal“ sage ich – und zeige ihm noch drei weitere Graffiti. „Ich hab mir überlegt, ein bisschen Werbung für unsere Gottesdienste in der Karwoche und an Ostern zu machen. Dazu wollte ich mal etwas andere Bilder zeigen als jene, die man so normalerweise nimmt.“
„Eyecatcher also.“
„Nicht schlecht. Du kennst dich aus.“
„Klar. Die Leute erwarten fromme Bilder und du überraschst sie stattdessen mit nem Graffiti, das irgendwie fromm ist – aber auch nicht. Anders, als sie es erwarten halt. Hat was von ner paradoxen Intervention.“
„Alter. Woher kennst du die ganzen Fachbegriffe?“
„Da staunst du, gell. Bin halt ein gebildeter Hund.“

Wir nehmen uns etwas Zeit. Lassen die Bilder auf uns wirken.
Schließlich meint Phil „Das wird ne ganz schön krasse Woche.“
Ich nicke gedankenversunken.
„Wie viele Gottesdienste feiert ihr denn?“ will der Hund wissen.

„Es beginnt am Palmsonntag. Da erinnern wir uns an den Einzug von Jesus in Jerusalem. Die Leute sind voll gut drauf. Sie machen Party und winken mit Palmzweigen, weil sie Jesus echt gut finden. Allerdings kippt die Stimmung recht flott. Aus den ganzen Likes wird innerhalb von Tagen ein heftiger Shitstorm.“
Der Hund verzieht sein Gesicht und nickt wissend.

„Am Gründonnerstag trifft Jesus sich dann mit seinen Freunden zum Abendmahl…“
„Paschamahl“ korrigiert mich Phil.
„Richtig. Pas-cha-Mahl. So wird das ausgesprochen. Da sagt er ihnen noch einmal, was ihm wirklich wichtig ist. Er bittet seine Freunde, seine Botschaft miteinander leben und zu teilen, wie Brot und Wein. Und er verspricht, dass er immer dabei sein wird, wenn sie das tun. Noch am selben Abend wird Jesus dann verhaftet.“

„Warum eigentlich?“ hakt Phil nach.
„Er ist manchen Leuten ein Dorn im Auge. Die stören sich dran, dass er die religiösen und gesellschaftlichen Regeln kritisch hinterfragt. Daran, dass er versucht, das einfache Volk, die Abgehängten und die Armen zu stärken.“
Erneut unterbricht mich der Hund und zitiert „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“
„Eben. Jesus ist keiner, der die Füße stillhält, wenn irgendein Gernegroß versucht, die Menschen auszunutzen und nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Er nimmt auch kein Blatt vor den Mund, wenn irgendwelche Typen im angeblichen Namen Gottes Menschen ungerecht behandeln und klein halten. Er steht für Freiheit. Für Gerechtigkeit. Für Frieden. Für ein gutes Miteinander. Konsequent.“

„Tja. Da geht’s dem Jesus genau so, wie den Unruhestiftern, die heutzutage nicht die Klappe halten können. Wer sich für Gerechtigkeit und Demokratie einsetzt, braucht in manchen Ländern ja ein verdammt schnelles Pferd.“
„Oder er stirbt mal aus Versehen und ganz zufällig.“

„Oder…“ meint Phil „Oder er wird halt öffentlich gekreuzigt. Wie Jesus am Karfreitag.“
Ich stimme zu. „Ja. Die Foltermethoden haben sich etwas geändert. Das Vorgehen ist mehr oder weniger ähnlich geblieben.“
Der Hund seufzt. „So traurig. Ich versteh einfach nicht, dass ihr Menschen so schlimm miteinander umgehen könnt. Dass ihr euch sogar gegenseitig umbringt. Statt gemeinsam zu klären, wie ihr friedlich miteinander leben könnt.“
„Ach Phil. Ich versteh’s auch nicht.“

„Aber da ist doch noch das Bild vom Jesus mit den beiden Frauen. Das, wo sie so glücklich miteinander sind“ bemerkt der Hund.
„Ja“ lächele ich. „Da freue ich mich am Meisten drauf. Auf die Osternacht. Da feiern wir nämlich, dass Jesus nicht tot geblieben ist. Dass er auferstanden ist – und seinen Freundinnen und Freunden Mut gemacht hat, weiterzugehen. Seine Botschaft weiterzutragen. Sie vor allem zu LEBEN.“

Phil schaut mir tief in die Augen. „Daran glaubst Du?“
„Daran glaub ich.“
„Ehrlich? Auch, wenn es ziemlich verrückt und unglaublich klingt?“
„Auch dann. Weißt du… ich denke… unsere Welt hat am Ende nur dann eine Chance, wenn es Menschen gibt, die verrückt genug sind, an Wunder zu glauben. Die nicht aufhören, sich für das Gute einzusetzen. Selbst, wenn die Lage manchmal völlig aussichtslos zu sein scheint.“

Der schwarze Hund legt seinen Kopf in meinen Schoß und lässt ich am Ohr kraulen.
„Ich find’s gut, dass es Verrückte gibt“ meint er schließlich. „Leute, die glauben. Die träumen. Die unruhig bleiben. Die den Jesus wirklich ernst nehmen.“

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