Der Pumuckl-Paragraph

Sonntag. Wir frönen der hochheiligen Tradition.
Nach dem Zehn-Uhr-Gottesdienst werden die Schlunz-Klamotten angelegt und es gibt ein leckeres Frühstück auf der Couch: Frische Brötchen, Butter, Wurst, Käse, Marmelade und Eier.
Dabei läuft die Glotze. Bildungsfernsehen.
Meistens die „Sendung mit der Maus“.
Seit kurzem die neuen Folgen vom „Meister Eder und seinem Pumuckl“.

Für mich ist das einer der Höhepunkte der Woche. Hier und jetzt muss ich weder klug noch priesterlich noch einen auf „Erwachsen“ tun. Hier und jetzt darf ich ein fast 45-jähriges Kind sein und einfach nur genießen. Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen wird dabei wach: Wie ich als Dreijähriger auf dem Schoß meiner Uroma in Rohrbach saß. Auf dem alten Sessel. Wir haben eine Decke über uns gelegt, miteinander gekuschelt und den Pumuckl angesehen. Das war… grandios! Glaubt mir: Es tut auch heute noch sooo gut. Und es ist mir völlig wurschd, was Andere darüber denken.

Die Uroma ist leider nicht mehr da. Vermutlich schaut sie vom Himmel aus runter und kichert drüber, wie ich als erwachsener Mann immer noch ganz Kind bin, mich unter der Decke eingekuschelt habe und an sie denke. Auf meinen Füßen liegt ein „kleiner“, 40 Kilo schwerer Hund. Völlig fasziniert und gefesselt betrachten wir die neuen Geschichten vom Pumuckl. Genau wie ich, ist auch der rothaarige Kobold ein Kindskopf geblieben. Albern, verpeilt, meistens lustig, ab und an auch nachdenklich und sinnierend.

„Sichtbar sein macht sooo müde“ ruft er heute seinem Meister Eder zu. Für alle, die es noch nicht wussten: Kobolde sind von Natur aus unsichtbar. Nur ganz wenige Menschen können sie sehen. Und die… können sie dann immer sehen. Für einen Kobold ist das insofern blöde, weil er zumindest vor diesen Menschen kaum noch Geheimnisse haben kann. Er ist halt immer sichtbar.

„Sichtbar sein macht sooo müde“ rufe ich und kichere.
„Häh?“ Der schwarze Hund hebt seinen Kopf blickt mich verständnislos an.
„Stell dir mal vor, Phil. Wenn ich unsichtbar sein könnte. Das wäre so schön!“
„Aber dann wärst du halt unsichtbar. Dann würden dich die Leute nicht mehr sehen.“
„Eben drum.“
„Versteh ich nicht.“
„Echt jetzt?“
„Nee. Ich kapier’s nicht.“

„Weißt du, Phil“ erkläre ich. „Manche Menschen denken, so ein Pfarrer muss immer sichtbar sein. Der muss immer da sein. Rund um die Uhr ansprechbar. Weil das halt so sein muss.“
„Aber die wissen schon, dass du mal schlafen musst. Oder ausspannen musst. Dass deine Energie auch ihre Grenzen hat. Bist ja auch nur ein Mensch.“
„Naja. In der Theorie wissen die das schon. Aber die Erwartungshaltung ist halt oft ne Andere. Und wenn du der nicht nachkommst, bist du halt kein guter Pfarrer. That’s it.“ zucke ich die Schultern. „Das kommt aus einem völlig verqueren und überhöhten Priesterbild. Aus einer Zeit, in der die Menschen dachten, dass so ein Pfarrer was gaaanz Besonderes ist. Fast schon sowas wie ein Heiliger. Mit Zauberkräften und so.“

Der Hund schnauft auf. „Uff. Das klingt echt schräg. Du meinst, die Leute denken immer noch so?“
„Naja. Zum Glück haben mittlerweile Viele kapiert, dass es anders ist. Aber manche leider schon. Und das… ist halt echt anstrengend.“
„Joa. Versteh ich. Und das ständige Sichtbar-sein-müssen findest du anstrengend?“
„Naja. Schon irgendwie. Wär halt ne feine Sache, wenn ich hier und da ein bisschen wie Pumuckl sein könnte. Wenigstens ab und an unsichtbar, so dass ich einfach ich sein kann. Mensch sein kann…“

Phil kichert. „Ach komm. Du willst ja nur unsichtbar sein, damit du rumalbern und Kind sein kannst.“
„Und wenn schon?“ frage ich zurück. „Ich finde, das sollte im Grundgesetz stehen: Jeder Mensch hat das Recht darauf, hin und wieder unsichtbar und albern und verrückt und ein Kindskopf zu sein. Ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.“

Der Hund nickt. „Der Pumuckl-Paragraph. Respekt. Sehr gute Idee. Solltest du mal deiner Bundestagsabgeordneten zuschicken. Vielleicht findet sich ja eine Dreiviertelmehrheit für ne Grundgesetzänderung.“
„Ist notiert.“

#gesprächemitphil

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