Zwei-Takt-Romantik

„Was machen die Typen da mit diesen Knatterdingern?“
Der Hund ist sichtlich irritiert. Normalerweise geht es auf dem Friedhof, an dem wir auf unserer Morgenrunde vorbeiziehen, recht ruhig zu. Heute nicht.
„Das sind die Jungs von der Gemeinde. Wie’s aussieht, ist Reinemachtag.“
„Und dazu müssen die mit nem riesengroßen knatternden Fön durch die Gegend rennen?“
„Laubbläser. Damit werden die Wege und der Rasen freigepustet. Soll ja schön aussehen, wenn bald der Frühling kommt.“
„Hach ja. Der Frühling.“ Phil schließt die Augen und träumt einen Moment lang von frischem saftigen Gras, von duftenden Blüten und dem Erwachen der Natur. Er hält seine Nase in die Luft, als könnte er bereits die ersten Vorboten riechen.

Mitten im Schnuppern hält der Vierbeiner inne. Er verzieht das Gesicht.
„Igitt. Was stinkt denn da so widerlich?!“
Jetzt kann ich es auch riechen. Ich nehme einen tiefen Atemzug und lächele.
„Das, mein Freund, ist der betörende Duft von 1 zu 50. Öl und Benzin. Zweitaktgemisch. Der Duft der Freiheit.“

„Alter. Dir ist schon klar, dass das Zeugs alles Andere als gesund ist. Wenn du weiter so tief einatmest, wird’s dir die Synapsen wegbrezeln.“ Phil wirft mir einen strafenden Blick zu. „Ich versteh dich nicht“ ergänzt er. „Da machst du immer einen auf Naturbewahrer, auf Nachhaltigkeit und Öko und Fair. Und jetzt auf einmal findest du diesen Dreck gut, oder was?“
„Nein. Natürlich nicht“ versuche ich zu erklären. „Wenn wir uns etwas geschickter anstellen würden, wären wir in Sachen regenerative Energie und Umweltschutz schon viel weiter.“
„Jaja. Ihr Menschen. Ihr könntet so viel. Wenn ihr nur wollen würdet. Aber jetzt mal im Ernst. Was um alles in der Welt riecht denn da bitte nach Freiheit?“

Während wir weitergehen, erzähle ich dem kleinen Hund von meinem ersten benzinbetriebenen Gefährt. „Damals war ich 14 Jahre alt und habe gerade den Mofaführerschein gemacht. Von meinem Taschengeld hab ich eine alte, klapprige Zündapp gekauft. Zweitaktmotor. Himmelblau. Zumindest dort, wo kein Rost war. Einmal bin ich damit vor der Polizei geflüchtet.“
„Vor der Polizei geflüchtet? Auf nem Mofa?“
„Jepp. Zumindest dachte ich das. Die sind mit ihrem Auto durch’s ganz Dorf hinter mir hergefahren. Da ging mir ordentlich die Klammer. Hatte ja noch keinen Führerschein. Die sind mir sogar hinterher, als ich mich bei der Eisdiele verstecken wollte.“
„Und dann haben sie dich verhaftet und zu den Schwerverbrechern in den Knast gesteckt?“
„Nee. Die wollten sich nur ein Eis kaufen und hatten zufällig die gleiche Strecke.“
Der Hund kichert.
„Ein anderes Mal bin ich fast zwanzig Kilometer lang auf ner französischen Autobahn rumgetuckert.“
„Mit dem Mofa?“
„Naja. Wusste halt nicht, dass die Franzosen grüne Autobahnschilder haben. Dachte, das wär eine Landstraße. Gab ja auch noch keine Navis damals.“
„Echt. Mehr Glück als Verstand“ beömmelt sich mein Weggefährte.

„Wie schnell war’s denn. Dein Mofa?“
„27 Taken. Mit Vollgas. Bergab und mit Rückenwind sogar fast 35. Und wenn’s Benzin alle war, gab’s Pedale zum Vorwärtskommen.“
Mittlerweile liegt der Hund auf dem Boden und kringelt sich vor Lachen.
„Gnihihi. Da ist ja manche Oma mit’m Rollator flotter unterwegs.“
„Lach du nur. Immerhin war ich voll cool drauf. Außer mir hatte nämlich keiner in der Schule so ein Oldtimermofa. Bin jeden Morgen mit Nierengurt, Lederhandschuhen und Helm an der Schule vorgefahren. Im Sommer sogar mit Sonnenbrillenclips auf der Brille drauf.“
„Hör auf…!!!“ kringelt sich der Hund. „Ich kann nicht mehr. Mein Herrchen, der lässige Rocker auf’m Mofa.“

Beleidigt halte ich die Klappe.
„Hey. Ich wollte dich doch nicht kränken.“ entschuldigt Phil sich schließlich. „Aber tief in dir drin weißt du schon, dass das auch in den 90ern nicht wirklich cool war, oder?“

Jetzt muss auch ich Grinsen. „Ja. Ist mir schon klar. Aber für mich. Für mich war’s irgendwie cool. Auch, wenn die Anderen mich manchmal komisch angeschaut haben. Hat halt nach Freiheit geschmeckt. So ganz allein durch die Gegend zu tuckern. Mit nem echten Motor unterm Hintern. Den Fahrtwind zu spüren auf meiner kleinen Möchtegern-Harley. Und genau da dran erinnere ich mich, wenn ich heute den Duft von verbranntem 2-Takt-Gemisch rieche.“

„Verstehe.“ murmelt der Hund. „Für deine Nase riecht das Zeugs gut, weil du dich im Kopf an alte Abenteuer erinnerst. Gleichzeitig weiß dein Herz, dass Benzin und Öl gar nicht mal dolle für die Umwelt sind.“
„Ungefähr so.“ stimme ich zu. „Und deshalb brauche ich heute kein Mofa mehr. Stattdessen hab ich nen Hund, mit dem ich jeden Tag durch den Wald ziehe und die Natur genieße.“
„So isses“ lächelt Phil. „Und bald. Bald wird’s hier nach Frühling duften. Da freu ich mich drauf.“

#gesprächemitphil

P.S.: Auf dem Bild seht Ihr den Nachfolger der blauen Zündapp. Rotzi war dann immerhin schon 45km/h schnell unterwegs 😉

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