Nachdem die Temperatur die letzten Tage ordentlich gefallen ist, ist es endlich soweit. Es schneit. Manch einer ist genervt. Mitte Januar ist bei vielen der Zenit des Winterblues erreicht. Das graue, kaltnasse und ungemütliche Wetter der letzten Wochen zehrt an den Nerven. Die Hoffnung und die Vorfreude auf den Frühling wachsen mit jedem Tag. Auch bei uns.
Aber jetzt. Jetzt freuen wir uns erst mal über den Schnee. Regen und Matsch gab’s mehr als genug. Heute führt uns die Gassirunde durch eine weiß gepuderte und knackekalte Winterlandschaft. Und die – ist einfach nur schön.
Am Wanderparkplatz angekommen öffne ich den Kofferraum des silberfarbenen Kombis. Der schwarze Hund sitzt erwartungsvoll da und hält die Nase in die Luft. Er schnuppert erstmal. Schaut nach links. Nach rechts. Schnuppert erneut. Wartet ab.
„Okay.“
Mit einem Satz hüpft Phil aus dem Auto, rennt zum nächsten Busch und hebt das Hinterbein. Ist immer so. Bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit. Erst mal ein Statement abgeben. Zeigen, dass man da ist. Die Öffentlichkeit informieren. Macht man so. Gehört zum guten Ton.
Doch dann.
Der Hund bleibt wie angewurzelt stehen und hebt den Blick in den Himmel. Dicke weiße Schneeflocken fallen herab. Sie bleiben auf seinem Fell liegen. Eine davon landet auf seiner Nase. Ein schielender Blick. Scheint zu kitzeln. Phil niest und schüttelt sich. Er blickt umher. Seine Muskeln spannen sich. Er legt den Turbogang ein und prescht mit mit voller Geschwindigkeit los: „Paaaaaartyyyyy“ jubelt der allradfähige Mischling und rast wie ein wildgewordener Blitz auf die Wiese. Kurz sieht es aus, als würde er sich gleich überschlagen, so wild und ungezähmt fliegt er durch die Gegend. Ich unterdrücke den Gedanken, ihn zu mir zu rufen. Keine Chance. Das Tier ist dermaßen vollgepumpt mit Adrenalin und Lebensfreude, dass es mich ohnehin nicht hören würde. Also lasse ich ihn machen. Schneeflocken jagen, jubeln, hüpfen, rennen und rasen.
Kurz darauf ziehen wir weiter. Mit einem fetten Grinsen in den Lefzen trottet Phil neben mir her und hechelt wie ein Marathonläufer kurz vor dem Zieleinlauf.
„Na. Alles ok bei dir?“ frage ich ihn.
„Klaro. Läuft.“
„Pass auf, dass du nicht über deine Zunge stolperst. Die hängt ja fast auf dem Boden.“
Phil verdreht die Augen. „Das muss so. Immerhin habe ich eben drölfundzwanzigtausend Schneeflocken gefangen, während du nur blöd in der Gegend rumgestanden bist.“
„Schon gut, Kleiner. Aber dir ist schon aufgefallen, dass sich Schneeflocken nicht fangen lassen.“
„Alter. Wem sagst du das?! Jedes mal, wenn ich eine erwischt hab, war sie gleich wieder weg. Einfach so. Wie verhext. … Hey. Warum grinst du so blöd?“
Ich bemühe mich um einen ernsthaften Gesichtsausdruck und erkläre meinem Weggefährten, dass Schnee im Allgemeinen ganz gerne schmilzt, wenn er auf warmen Hundezungen landet.
„Immer?“
„Ja. Immer. Das liegt an den Aggregatzuständen von Wasser. Unter null Grad…“
„Klugsch…“
„Ist ja gut.“
Während wir den Berg hinaufgehen bleibt Phil immer wieder stehen, streckt seine Zunge aus. Irritiert beobachtet er, wie Schneeflocken darauf landen und gleich wieder schmelzen.
„Irgendwie schade“ stellt er schließlich fest.
„Was ist schade?“
„Na, dass die hübschen Flocken sofort wieder weggehen, wenn man sie mal kurz festhalten will.“
Ich zucke mit den Schultern. „So ist das halt. Sie lassen sich eben nicht einfangen. Sie sind da – aber wenn du sie einfangen willst, schmelzen sie.“
„Hmmm.“ Der schwarze Hund steht da und grübelt. „Hmmm.“
„Worüber hmmmst du denn?“
„Darüber, dass das mit den Schneeflocken wie mit uns beiden ist.“
„Wie mit uns beiden?“
„Ja.“
Jetzt stehe ich da und warte. Betrachte die leise zum Boden fallenden Flocken. Phil überlegt kurz. „Wenn wir Beide was Schönes erleben… Dann würd ich das manchmal gerne festhalten. Weil’s sich einfach so gut anfühlt in mir drin. Aber das klappt nicht. Jedes Mal, wenn ich’s versuche, ist es gleich wieder weg.“
Wir ziehen weiter. Der kleine Hund geht vor mir her und hinterlässt seine Spuren auf der unberührten Schneedecke. Hin und wieder sind da noch andere Spuren, die wir kreuzen. Ein Vogel. Ein Reh. Phil bleibt dann meistens kurz stehen und schnuppert dran.
Oben angekommen, an unserem Aussichtspunkt, machen wir eine Pause. Bei gutem Wetter kann man bis rüber nach Winnweiler sehen. Heute nicht. Der Horizont verschwindet im Grau-Weiß der tief hängenden Wolkendecke.
„Du, Carsten?“
„Ja, Phil?“
„Warum kann ich die schönen Momente nicht festhalten?“
„Das haben schöne Momente so an sich. Je schöner sie sind, desto schneller sind sie auch wieder weg. Sie sind wie Schneeflocken. Wunderbar. Aber auch zart. Du kannst sie nicht festhalten. Du kannst nur einen Augenblick lang staunen und sie bewundern.“
Wehmütig schaut der kleine Hund in die Ferne. Als würde er sich an all die schönen Momente erinnern, die wir bisher miteinander erlebt haben. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit seinen Blick zu mir wendet, lächelt er.
„Du. Vielleicht kann ich die Schneeflocken nicht festhalten. Aber spielen mit ihnen. Das kann ich. Und ich kann sie bewundern. Spaß damit haben. Oder?“
„Ja. Das geht.“
„Und die Momente, die wir haben. Die kann ich auch nicht festhalten.“
„Genau.“
„Aber spielen. Spaß haben. Genießen. Party machen. Das geht trotzdem?!“
„Das geht.“
„Na dann…“ Phil rennt los und ruft „Jetzt komm doch. Lass uns Momente jagen!“
„Momenteeee“ jubele ich und renne ihm nach.
#gesprächemitphil