Heute wollen Phil und ich mal eine etwas längere Runde gehen. Den Kupferweg 2, der sich über knapp 7 Kilometer entlang der alten Erzbergwerke in Imsbach den Berg hoch- und wieder runterschlänget. Bevor wir losziehen checke ich im Auto noch schnell meine Nachrichten.
„Paukenschlag im Vatikan“ steht da. Ich bin neugierig und überfliege Artikel, den Facebook mir da reingespült hat. „Vatikan erlaubt Segnung für homosexuelle Paare“.
„Alter. Phil. Ich fass es nicht.“ rufe ich und lasse den Hund mit einem breiten Grinsen aus dem Kofferraum hüpfen. „Was fasst du nicht?“ fragt er. „Ei der Vatikan. Die erlauben es jetzt tatsächlich, das homosexuelle Paare gesegnet werden. Wie genial ist das denn?!“
Der Hund schüttelt sich und läuft wortlos zum nächsten Busch. Nachdem er sich erleichtert hat, kommt er zurück und läuft neben mir her. „Hast Du auch das Kleingedruckte gelesen?“ will er wissen. „Das Kleingedruckte?“ „Na die werden ja wohl kaum nur eine Überschrift veröffentlicht haben. Da gibt es doch bestimmt noch was Kleingedrucktes…“
Ich bleibe stehen. Klicke mich auf der Homepage des Vatikan durch, bis ich die „Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ finde. Uff. Jede Menge Kleingedrucktes. Phil und ich beschließen, erst mal loszugehen und auf der Hälfte des Weges eine Lesepause einzulegen. Oben auf dem Berg gibt es eine Bank mit einer wunderbaren Aussicht. Dort angekommen setzen wir uns in die Sonne und lesen…
„Der Heilige Vater… hat die Erklärung unterschrieben… Diese Erklärung bleibt bei der Lehre der Kirche… Paare in irregulären Situationen und gleichgeschlechtliche Paare… Segen ist in Ordnung… darf aber auf keinen Fall mit der Ehe verwechselt werden… Segen darf nicht auf Sexualität reduziert werden… Weitung der Perspektive… Gottes Gnade… Die Welt braucht Segen…“
Der schwarze Hund und ich sitzen da und wissen nicht so recht weiter.
„Ein bisschen cool?“ frage ich.
„Ein bisschen peinlich“ antwortet Phil.
„Cool und peinlich?“
„Cool und peinlich!“
Weil uns nichts einfällt – und weil die Gedanken rattern, ziehen wir weiter.
Nach ein paar hundert Metern setzt Phil sich vor mich. Mitten auf den Weg. Er wartet, bis ich zum Stehen komme und schaut mich an. „Weißt du, was richtig cool und mutig gewesen wäre?“ fragt er. „Was?“
„Wenn die gesagt hätten: Liebe Leute. Wir haben gemerkt, dass wir Euch über eine sehr lange Zeit verletzt und ausgegrenzt haben. Wir haben gemerkt, dass wir den Jesus komplett missverstanden haben. Das tut uns leid und wir bitten euch um Verzeihung. Jetzt endlich haben wir kapiert, dass Gott immer mit seinem Segen dabei ist, wenn Menschen sich aufrichtig lieben. Und das gilt natürlich auch für Euch!“
„Ja“ gebe ich zu. „Das wäre richtig mutig gewesen.“
„Eben. Aber dieses lange Dingens ist gar nicht so mutig“ meint Phil. „Könnte sogar sein, dass es verletzend ist.“ „Verletzend?“
„Jepp. Weil es den nicht-hetero-Paaren mal wieder mitten ins Gesicht sagt, dass ihre Beziehung eigentlich nicht so ganz richtig ist. Dass es auch besser geht. Dass sie halt ausnahmsweise ein bisschen gesegnet werden dürfen. Aber nur ein bisschen.“
Da stehe ich mit meinem Hund und bin hin und hergerissen. Auf der einen Seite freue ich mich. Weil es irgendwie schon ein Meilenstein ist. Ein Meilenstein, dass dieser riesige Apparat Kirche sich endlich traut, weiterzugehen. Die Frohe Botschaft ernst zu nehmen und sie für unsere Zeit zu deuten. Das ist schon ein heftiger Moment. Ein Einschnitt. Ein positives Zeichen. Aber…
„Hey Carsten.“ unterbricht Phil meine Grübelei. „Ich versteh Dich ja. Ist schon ziemlich krass, dass der Vatikan sich soweit aus dem Fenster lehnt. Die Sache ist halt die: Was für die Einen total mutig und groß erscheint, ist für Andere vielleicht nicht mehr als ein winziger Hüpfer. Da ist also noch jede Menge Luft nach oben.“
„Luft nach oben“ wiederhole ich und blicke in den blauen Himmel über uns.
„Ja. Da ist noch Luft nach oben.“
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