Ein neues Jahr

„Ihr Menschen. Ständig habt Ihr was zu feiern.“
Es ist kurz vor Mitternacht. 31. Dezember. Der kleine Hund steht völlig übermüdet neben mir. Er streckt sich ausgiebig und schüttelt sich. „Sorry. Hab ich dich geweckt?“ frage ich, während ich den molligen Schlafanzug gegen Hose, Pulli, Jacke und Schuhe austausche. „Hast du Lust, mit rüberzugehen? Zu den Nachbarn?“ Phil überlegt den Bruchteil einer Sekunde. Dann ist er hellwach. „Party!“ jubelt er und rast zur Wohnungstür.

Während wir durch den stockfinsteren Garten marschieren, hakt er noch mal nach: „Ich versteh Euch Menschen nicht. Das mit Weihnachten hab ich ja kapiert. Große Geburtstagsparty für Jesus und so. Aber was soll das Gedöns mit Silvester? Die anderen 364 Tage im Jahr macht ihr ja auch nicht so nen Aufriss!“

„Es ist so“ versuche ich zu erklären. „Wir Menschen finden es halt nett, alle 12 Monate sowas wie einen Neustart zu haben. Das Vergangene hinter uns zu lassen und auf das Kommende zu hoffen. Das feiern wir an Silvester. Das neue Jahr.“

„Hmmm.“ Einen Moment lang denkt Phil nach. „Klingt gar nicht mal so doof. Das heißt also, dass ihr ab morgen alles anders angeht? Dass ihr’s im neuen Jahr besser macht als im Alten?“

„Ach Hund“ seufze ich. „Weißt du. Ich glaube, die meisten Menschen sehnen sich tatsächlich danach, dass es besser wird. Dass wir diese Sache mit der Welt, den Menschen, der Gerechtigkeit und so ein bisschen besser hinkriegen. Leider kriegen wir das in der Praxis oft nicht so gut umgesetzt.“

„Aaaah“ schreie ich, während ich versuche, das Gleichgewicht zu finden. Mit der Schulter rempele ich gegen den alten Kirschbaum und schaffe es gerade noch, mich daran festzuhalten. „Sorry, Bro“ entschuldigt sich der in der Dunkelheit völlig unsichtbare schwarze 40-Kilo-Brocken. „Was bleibst du auch ohne Vorwarnung einfach stehen?“
„Weil ich nachdenken muss!“

Da stehen wir also. In der Dunkelheit. Im Garten. Der Hund und ich. Und denken nach.
„Okay.“ sagt Phil nach einer gefühlten Ewigkeit. „Ihr Menschen feiert also, dass ihr euch danach sehnt, es im neuen Jahr besser zu machen. Soweit alles klar. Dass ihr’s nicht immer ganz schafft… versteh ich auch. Ihr seid halt auch nur Menschen. Aber cool wär’s schon irgendwie. Wenn ihr’s wenigstens ein bisschen hinkriegen würdet. Das fänd ich echt nett.“
„Ich auch, mein Freund.“

Wir ziehen weiter. Den kleinen Abhang hoch zum Garten der Nachbarn, mit denen wir auf das neue Jahr anstoßen wollen. Vor dem geschlossenen Türchen bleiben wir noch einmal stehen.

„Weisste was? Ich drück euch die Pfoten. Dass das neue Jahr ein Gutes wird.“
„Danke, Phil. Das wünsche ich uns auch. Und dir.“


P.S. (von Phil): „Leute. Eine Sache noch. Ich find ja auch, dass so ein Feuerwerk total hübsch aussieht. Nur die laute Knallerei. Die macht mir Angst. Wär also total fein von Euch, das Ganze auf die Zeit von Mitternacht bis 1 zu beschränken. So lange kuschele ich mit meiner Familie. Und wenn Ihr den Waldtieren und der Umwelt was Gutes tun wollt, ersetzt die Böller doch durch Menschenleckerlies. Knallt auch ganz gut, meint Herrchen ;-)“

#gesprächemitphil #silvester #neuesjahr

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