Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft

Oder: Die Hierarchie der Wahrheiten.
Die Bischöfe. Der Synodale Weg.

In der Dogmatik – das ist jener theologische Teilbereich, der sich mit den Inhalten unseres Glaubens beschäftigt – gibt es einen Gedankengang, der allgemein anerkannt ist: Die „Hierarchie der Wahrheiten“ (Vgl. hier und hier, 11).

Kurz und knapp: Es geht darum, dass Glaubensinhalte bzw. kirchliche Lehrmeinungen unterschiedliche Wahrheitsansprüche haben. Im Grunde ist es wie beim Kartenspiel. Es gibt Trumpf-Karten, die alle anderen Karten stechen und entwerten können. Anders gesagt: Glaubenswahrheiten der höchsten Stufe stehen an erster Stelle. Die „rangniedrigeren“ Glaubensinhalte dürfen und können den „höherstehenden“ nicht widersprechen. Tun sie das doch – liegen sie schlichtweg falsch und müssen überarbeitet werden. Das gilt auch für kirchliche Strukturen: Sobald sie im Widerspruch zu den Inhalten stehen oder ihnen nicht mehr dienen, sind sie zu korrigieren oder durch passende Strukturen zu ersetzen. Da gilt der bewährte Grundsatz „form follows function“.

Konkret: Wenn wir über Gott reden, schreiben wir ihm Eigenschaften zu, die in unserer Kirche allgemein anerkannt und unbestritten sind. Zum Beispiel: Gott ist ALLMÄCHTIG, UNENDLICH, GERECHT, unbedingt BARMHERZIG und LIEBEND.

Diese Aussagen über Eigenschaften Gottes gehören sozusagen zu den „Trumpf-Glaubenswahrheiten“. Alle weiteren kirchlichen Lehrmeinungen und Strukturen können per Definition diesen Aussagen nicht widersprechen. Tun sie das doch, sind sie entweder falsch (und müssen korrigiert werden) oder missverständlich (müssen ebenfalls korrigiert – oder zumindest so überarbeitet werden, dass sie verständlich sind).

Aus diesem Grund ist zum Beispiel die über einen langen Zeitraum immer wieder aufkommende Vorstellung eines Gottes, der Sünder*innen „bestraft und schlägt“ zu den Akten gelegt worden. Ein strafender Gott wäre schließlich kein barmherziger Gott. Vielmehr ist er barmherzig und gerecht. Vereinfacht gesagt: Wenn ich eine Sünde begangen habe, muss ich für die Folgen geradestehen (das ist Gerechtigkeit) – darf aber darauf vertrauen, dass Gott mir vergibt (das ist Barmherzigkeit).

Lasst uns mal kurz über folgende „Trumpf-Glaubenswahrheit“ nachdenken:

Gott ist die LIEBE (1 Joh 4,16b).

Jede weitere Glaubensmeinung, die dieser Aussage widerspricht, ist entweder falsch – oder muss so korrigiert werden, dass sie verständlich ist und keinen Widerspruch darstellt. Wenn also Lehrmeinungen, Haltungen, Strukturen oder der Umgang der Kirche mit Menschen der Vorstellung eines unbedingt liebenden Gottes widersprechen, sind sie mehr als fragwürdig.

Mit Blick auf den zigtausendfachen sexuellen, spirituellen und machtbedingten Missbrauch von Menschen durch Priester, Ordensleute und kirchliche Verantwortungsträger*innen lässt sich feststellen, dass diese Geschehnisse unserem Glauben an einen liebenden Gott zutiefst entgegenstehen. Dem wird wohl niemand widersprechen. Hinzu kommen all die kirchlichen Haltungen und Strukturen, durch die unzählige Menschen aufgrund ihrer gottgegebenen sexuellen Orientierung ausgegrenzt wurden und werden. Auch hier liegt ein Widerspruch zur behaupteten Liebe Gottes auf der Hand.

Ganz folgerichtig und logisch konsequent haben sich die deutschen Bischöfe gemeinsam mit Katholik*innen aus unterschiedlichsten kirchlichen „Lagern“ auf einen „Synodalen Weg“ gemacht. Mit dem Ziel, herauszufinden und zu klären, welche kirchlichen Strukturen, Lehrmeinungen und Haltungen Missbrauch verursachen oder begünstigen, Menschen verletzen oder ausgrenzen – und letztlich der Aussage über die unbedingte Liebe Gottes widersprechen und sie verwässern. Mit dem Ziel, solche „nachrangigen“ Lehrmeinungen und Haltungen so zu korrigieren und zu überarbeiten, dass sie Missbrauch verhindern oder zumindest erschweren. Nicht zuletzt auch mit dem Ziel, gemeinsam an einer Kirche zu bauen, in der die Liebe Gottes für ALLE glaubhaft spürbar ist. „In Gedanken, Worten UND Werken“.

In diesen Tagen diskutiert und streitet die vierte Synodalversammlung unter anderem über die Sexualmoral der Kirche. Weitgehend unstrittig ist, dass die gängige kirchliche Sexualmoral schon lange an der Lebensrealität der überwiegenden Mehrheit der Christ*innen vorbeigeht. Auch lässt sich nicht leugnen, dass viele Menschen sich durch die gängige Lehrmeinung verletzt und ausgegrenzt fühlen.

WENN Kirche nun glaubhaft von einem unbedingt liebenden Gott reden will; von einem Gott, der uns Menschen gleichzeitig als Wesen mit freiem Willen, Gewissen, Hinordnung auf Beziehungen und mit Sexualität ausgestattet geschaffen hat – dann kann ihre Sexualmoral nur dann gültig (siehe „Hierarchie der Wahrheiten“) und überzeugend sein, wenn sie weder dem Prinzip der unbedingten Liebe Gottes widerspricht, noch Menschen ausgrenzt und verletzt.

In intensivem Ringen hat die Synodalversammlung das Dokument „Leben in gelingenden Beziehungen: Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ erarbeitet – und damit den Versuch gewagt, Elemente einer kirchlichen Sexualmoral zu entwickeln, welche dem Prinzip der unbedingten Liebe Gottes entsprechen und verletzende sowie ausgrenzende Glaubensmeinungen zu korrigieren.

Gestern, am 08. September 2022 wurde das dieses Dokument von einer überragenden Mehrheit des Synodalversammlung angenommen – und gleichzeitig abgelehnt, da es keine Zustimmung einer Dreiviertelmehrheit der anwesenden Bischöfe fand. Manche davon haben mit offenen Karten gespielt – andere haben ihre Macht demonstriert (und auch missbraucht), indem sie sich dem vorhergehenden Dialog entzogen hatten.

Und jetzt?
Jetzt braucht’s „Butter bei die Fische“!

Bleiben wir beim Status quo, müssen wir uns eingestehen, dass es Kräfte in der Kirche gibt, die es schlichtweg akzeptieren, dass Glaube und gelebte Realität sich innerhalb der katholischen Kirche widersprechen. Dann haben wir eine Kirche, die einen unendlich liebenden Gott verkündet und es gleichzeitig stillschweigend zulässt, dass Menschen ausgegrenzt, verletzt und missbraucht werden. Letztlich eine Kirche, die unglaubwürdig ist. Die sich selbst der Lüge überführt! Um es noch deutlicher zu machen: Dann haben wir Hirten, welche die Lehre der Kirche (jene von einem Gott, der die Liebe ist) aufs Gröbste verletzen und missachten.
Lasst uns Klartext reden: DAS sind jene, die den Boden der Frohen Botschaft verlassen haben – und nicht jene (wie aus den Reichen der „Rechtgläubigen“ gerne behauptet wird), die ernsthaft um eine menschenfreundliche Kirche ringen.

Oder gelingt es uns (nicht nur in Deutschland, sondern weltweit) eine katholische Sexualmoral zu entwickeln, die Missbrauch verhindert, Menschen stärkt und sie in die Freiheit der Kinder Gottes führt? Nicht nur in netten und vertröstenden Worten – sondern glaubhaft und konkret.

Ach ja: Und dann sind da noch all die anderen Themen, die beim Synodalen Weg zur Diskussion stehen.

Es geht um „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, „Priesterliche Existenz heute“, „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“,…

Da gibt es also noch jede Menge Chancen, die Glaubwürdigkeit unserer Kirche – SEINER Kirche – zu stärken. Oder sie endgültig zu verspielen.

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