„Ich wünsche Dir, dass Du Deine Fröhlichkeit wieder findest.“ Mit diesem Satz verabschiedete sich vor einigen Wochen ein Mitbruder von mir, dem ich nur ab und an mal begegne.
Das saß! Das sitzt. Seitdem. Dieser Satz hat sich tief eingegraben. Denn es war einer der seltenen Momente, in denen ich das starke Gefühl habe, dass Gott selbst mit einem gigantischen Zaunpfahl vor meiner Nase rumwedelt, um mir einen deutlichen Hinweis zu geben.
Nun wälze ich diesen Satz seit einigen Wochen in meinem Kopf und in meinem Herzen hin und her – und frage mich, was sich auf meinem Weg und in meinem Leben in den letzten Jahren geändert hat. Ein paar Mosaiksteine eines noch unvollständigen Bildes habe ich gefunden – und mag sie nicht für mich allein behalten.
Mosaikstein #1: Die perfekte Kirche gibt’s nicht. Aber den Traum davon!
Seit meiner ersten Stelle bei Kirchens bin ich schrittweise in immer verantwortungsvollere Positionen gerutscht. Man könnte sagen „auf der Karriereleiter nach oben geklettert“ – aber so erlebe ich das nicht. Ganz und gar nicht.
Viel stärker erlebe ich das „Mehr“ an Verantwortung das man mir zutraut und dem ich versuche, gerecht zu werden: Gegenüber und mit den Kindern und Jugendlichen in den Verbänden und Gemeinden. Den Kolleginnen und Kollegen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Den Vorgesetzten. Da geht es um Erwartungen und Hoffnungen. Und teilweise auch um berufliche Existenzen.
Je größer die Verantwortung wird, um so deutlicher erlebe ich, dass es „die perfekte Lösung, mit der alle zufrieden sind“ oder „den perfekten Weg, der allen gerecht wird“ nicht gibt. Egal, wie sehr ich darum ringe. Meine Aufgabe (und die meiner Kolleg_innen) ist es, alles zu geben um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Im Wissen, dass dieses Ergebnis mal zu 90%, mal zu 70% und manchmal nur zu 60% „perfekt“ sein kann. Im Wissen, dass es immer Menschen geben wird, die nicht zufrieden sind. Denen ich vielleicht nicht gerecht werden kann. Und im Wissen, dass es vielleicht noch andere Lösungswege gegeben hätte.
Oft erwische ich mich bei dem Gedanken „Mensch, da wäre noch mehr drin gewesen.“ Und häufig reibe ich mich an Strukturen in meiner Kirche und in meinem Bistum, die ich als unnötige Bremsen erlebe. Als Stolpersteine, die man so leicht wegräumen könnte, wenn man nur wollte.
Je tiefer ich grabe und je weiter ich sehe, desto deutlicher wird mir, dass es „die perfekte Kirche“ nicht gibt. Nicht hier, in diesem Leben. Diese Erkenntnis nehme ich als Herausforderung an: Mag sein, dass es die perfekte Kirche nicht gibt – aber ich will um jeden kleinen Schritt auf dem Weg dahin kämpfen und werde jeden noch so kleinen Erfolg feiern.
Ich habe einen Traum von Kirche und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Eine Kollegin hat mal gesagt „Kirche müsste so sein, dass Jesus jederzeit kommen könnte und sagen würde: So hab’ ich mir das vorgestellt.“ Dem jage ich nach! (Und Danke für diesen genialen Satz.)
#Glaubenslust erlebe ich dabei immer wieder:
- In den Momenten, in denen ich spüre, dass Gottes Geist präsent ist.
- In den Momenten, in denen ich denke: Wenn Jesus jetzt vor uns stehen würde, würde er uns zunicken und sagen „Cool.“
- In den Momenten, in denen ich Menschen lächeln sehe und weiß, dass es einfach gut ist.
- In den Momenten, in denen ich nach langen und harten Arbeitstagen erschöpft ins Bett falle und mir denke „das hat sich gelohnt. Wieder einen Schritt nach vorne geschafft. Ultreia!“.
#Glaubensfrust gehört auch dazu:
- Immer dann, wenn ich weiß, das mehr möglich gewesen wäre, wenn wir / wenn Kirche bereit wäre, unnötige Bremsen wegzuräumen.
- Immer dann, wenn ich den Eindruck habe, dass es uns nicht gelingt, offen und ehrlich miteinander zu reden und sich mir der Gedanken aufdrängt „Egal wie man’s macht – es gibt immer was zu meckern“.
Mosaikstein #2: Der Focus macht den Unterschied
Habe nur ich das Gefühl, dass wir Deutschen es inbrünstig genießen, zuerst und vor allem auf das zu schauen, was „nicht gut läuft“? Diese Haltung hat m.E. einen immensen Einfluß auf unser Erleben.
Mit einem Bild erklärt: Vor mir steht ein Teller mit Kartoffeln (igitt), Gemüse (kann man essen) und Steak (boah – lecker!). Wenn ich mit dem oben genannten Focus auf den Teller schaue, sehe ich zuerst und allein die Kartoffeln. Meine Laune sinkt. Die Kartoffeln vermiesen mir den Appetit. Der Tag ist gelaufen. Das lecker duftende Steak sehe ich gar nicht mehr.
Diesen „typisch deutschen“ Focus nehme ich in unserer Kirche andauernd wahr. In meinem Alltag und vor allem auch in den sozialen Medien. Wir sind ein Volk, das nur die Kartoffeln sieht und dabei den Blick auf die leckeren Steaks vergisst. Was würde passieren, wenn wir den Focus änderten? Wenn wir zuerst auf die Steaks schauen würden – auf das, was gelingt, was gut ist, was lecker duftet, was einem das Wasser im Mund zusammen laufen lässt? Wenn wir zuerst das Gute genießen würden – und uns dadurch motiviert, gestärkt und befeuert um die blöden Kartoffeln kümmern würden?
#Glaubenslust erlebe ich,
- wenn Menschen mit mir zuerst auf das Gute, die Erfolge, die Schritte nach Vorne schauen;
- wenn die Frohe Botschaft uns motiviert, an die dunklen Seiten des Lebens und der Kirche ranzugehen um sie zu ändern;
- wenn wir die Kartoffeln ab und an mal beiseite lassen und die Steaks genießen.
#Glaubensfrust erlebe ich,
- wenn ständig die Kartoffeln im Vordergrund stehen;
- wenn wir bei all dem Gejammere keine Zeit und keine Energie mehr haben, das Gute und Gelungene wahrzunehmen;
- wenn ständige Kritik die Motivation ausradiert und am Schluss nur verdorrte Blätter übrig bleiben, statt aufgehende Samen.
Mosaikstein #3: Langweiliges Geschwurbel vs. Frohe Botschaft
„Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ lautet der Titel eines Buches, hinter dem der Autor Erik Flügge steht. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es komplett durchzulesen. Aber da ich Erik schon begegnet bin und ihn seit längerer Zeit via Social Media „verfolge“ maße ich mir an, einigermaßen zu wissen, worauf er hinaus will. Erik schaut vor allem auf die rhetorische Art und Weise der kirchlichen Verkündigung – und kritisiert sie als verschroben, gefühlsduselig, banal und platt. Mir fällt da noch eine andere Geschmackssorte von Verkündigung ein: Jene, die theologisch wesentlich ausgefeilter daher kommt, in mir jedoch das Gefühl hinterlässt, in einer staubtrockenen Uni-Vorlesung zu sitzen.
Erik wünscht sich die Rückkehr der „großen Predigt“: Eine Verkündigung, die rhetorisch ausgefeilt und mitreißend daherkommt. Ich bin da möglicherweise etwas einfacher gestrickt: Einfach weniger Gelaber – das würde mir schon fast reichen. Unsere Liturgien sind (für meinen Geschmack, den man nicht teilen muss) dermaßen wortlastig, dass ich für jeden Moment der Stille dankbar bin.
Ich will keine fromme Soße. Ich brauche keine ausgefeilte theologische Vorlesung (dafür gibt’s Bücher). Ich brauche nicht mal eine rhetorisch einwandfreie Predigt. Ich wäre glücklich, mit wenigen klaren Worten zu erfahren, was dieses oder jenes Evangelium mit meinem Leben zu tun hat. Möglichst konkret. Und dann will ich einfach Zeit haben, darüber wenigstens kurz nachdenken zu können.
Wir Theolog_innen sind Profis darin, ellenlange Texte zu lesen und zu präsentieren. Ich nehme mich da nicht aus: Wir zerlegen jeden Gedanken, jeden Satz in 1000 Einzelteile. Wir labern viel zu viel! Logorrhoe (Wortdurchfall) ist der klinische Fachbegriff dafür.
Wie oft sitze ich in der Kirche und denke mir: Ist ja ganz nett – aber was hat das jetzt bitte mit mir zu tun? Und wie gut tut es mir (was auch nicht jede_r teilen muss) einmal im Jahr ein paar Tage in Taizé zu verbringen und Liturgien zu feiern, die mit möglichst wenig Worten daherkommen. Liturgien, in denen der Heilige Geist auch mal die Chance bekommt, sich zu Wort zu melden – gerade WEIL nicht alles totgelabert wird.
#Glaubenslust erlebe ich,
- wenn ich spüre, dass die Frohe Botschaft was mit meinem Leben zu tun hat;
- wenn ich die Zeit geschenkt bekomme, ohne großes Aufhebens und ohne große Worte einfach mit Gott in Kontakt zu kommen.
#Glaubensfrust erlebe ich,
- wenn ich mit frommer Soße oder theologischen Vorlesungen überschüttet werde;
- wenn Verkündigung moralinsauer und verurteilend wird.
„Ich wünsche Dir, dass Du Deine Fröhlichkeit wieder findest.“
Das war der Ausgangspunkt meines Geschreibsels. Wo bin ich gelandet?
Eine endgültige Antwort habe ich noch nicht gefunden. Mir ist aber klarer geworden, dass sich etwas geändert hat.
- Vielleicht bin ich mehr oder weniger auf dem „Boden der Tatsachen“ angekommen – und habe gelernt, dass Kirche nicht so locker-flockig funktioniert, wie ich es mir wünschen würde.
- Vielleicht ernüchtert es mich, zu sehen, wie viele Baustellen es noch gibt: In meinem Leben. In meiner Arbeit. In meiner Kirche.
- Vielleicht bin ich auch vorsichtiger geworden – und wage es nicht mehr so offen und geradeaus zu sprechen, wie ich es vor ein paar Jahren noch getan hätte. Weil ich gelernt habe, dass jedes meiner Worte auf die Goldwaage gelegt und gerne auch mal umgedreht wird.
- Vielleicht muss ich auch noch lernen, gelassener zu werden – und mir manche Dinge nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen (das wird ein langer Weg).
Eines weiß ich aber ganz sicher: Diese schräge, verschrobene, so oft herumlabernde und unperfekte Kirche hat mich immer noch in ihrem Bann.
Und ich sehne mich danach, die Frohe Botschaft darin zum Leuchten zu bringen – und gemeinsam mit Menschen, die verrückt genug sind, auf die Suche nach Gott zu gehen und ihm zu begegnen.
2 Antworten zu “Glaubenslust und Glaubensfrust”
Moin – da bist Du nicht er einzige, der das erlebt hat, erlebt oder erleben wird. Aber es gibt eine gute Nachricht: diese Zeiten gehen vorüber. Es sind Perioden.
Trotzdem, Dein Posting heute hat mich an mich selbst erinnert und etwas in mir zum Klingen gebracht! Dafür Dankeschön!
Ansonsten: Monty Pythons Flying Circus hilft.
„And Now for Something Completely Different“!
Lieber Carsten! Du sprichst mir IN ALLEM so aus der Seele! Vielen herzlichen Dank für Deinen Beitrag „Glaubenslust und Glaubensfrust!“ Es ist so wahr, was Du schreibst! Ich erlebe es in weiten Bereichen genauso. Liebe und herzliche Grüße und Gottes Segen, Josef