São Sebastião da Fazenda Velha. Ein Weiler im Nirgendwo. 20km von der nächsten Stadt enfernt. 521km hinter Rio de Janeiro. Knapp 10000km rechts von der Pfalz. Für mich: Ein Stück Zuhause.
Die Menschen leben einfach, hier – am „Ende der Welt“. Ein Stück Land. Ein paar Hühner und vielleicht noch ein paar Rinder oder Pferde dazu. Die Hütten sind schlicht gebaut, gedeckt mit ein paar Ziegeln. Mehr brauchts nicht. In den modernen Küchen steht ein Gasherd. Mit offenem Feuer lässts sich aber auch ganz gut kochen.
Tagsüber wird „geschafft“: Die Frauen kümmern sich um Garten, Küche und Kinder. Die Männer ziehen sich ihre breitkrempigen Hüte auf, stecken sich eine Maiszigarette in den Mundwinkel und gehen aufs Feld. Manche von ihnen fahren mit dem Bus in die Stadt, um dort zu arbeiten. Ein teurer Spaß: 2€ hin und zurück… Manche besitzen sogar ein Auto: Einen mehr oder weniger klapprigen VW Gol. Die Kinder gehen in die nächste Schule: 15min Busfahrt und dann noch einmal 20min zu Fuß in die Berge.
Abends trifft sich die Dorfgemeinschaft: Vor einer der beiden „Bars“. Bei der gemütlichen immer lachenden alten Mama mit Papagei auf der Schulter oder bei Behercu, dem (fast) zahnlosen Haudegen.
Es gibt Caipirinha, Cachaça, Bier und Coca Cola. Die Dorfjugend kommt mit altersschwach röhrenden Mopeds angebraust. Wir teilen uns ein paar Flaschen Bier mit den Jungs und Mädels. Die Gitarre wird ausgepackt. Wir singen, erzählen und lachen.
Das Leben ist schön hier. Arm und hart. Mit einem Berg voller Sorgen und Nöte. Aber, hey: Warum den Kopf hängen lassen. Wir nehmen das Leben und genießen all das Schöne, was es uns bietet. Wir lachen so viel in diesen Tagen. Genießen das Glück des Augenblicks.
Am Rande des Weilers, auf einem Hügel, steht eine kleine Kapelle. Ein Baum davor, der Schatten spendet. Ein kleines Metallkreuz im Boden. Es erinnert an einen jungen Menschen, der sich an diesem Baum das Leben genommen hat. Ab und zu (etwa einmal im Monat) kommt ein Priester vorbei und feiert die Eucharistie. Ein Festtag, zu dem sich alle herausputzen und schön anziehen.
Und wenn kein Priester da ist? Dann trifft sich die Dorfgemeinschaft trotzdem in der Kirche. Ein paar alte Damen beten den Rosenkranz vor (oder knüppeln Wollsocken). Jemand hat eine Meditation vorbereitet. Eine junge Frau liest eine Bibelstelle vor. Die Jugendlichen begleiten den kräftig-fröhlichen Gesang mit ihren Gitarren. Das Vater unser beendet den Gottesdienst. In die 20km entfernte Stadt zum Sonntagsgottesdienst fahren? Welche Familie kann sich das bitteschön leisten?!
Formiga, so heisst die erwähnte Stadt. Hoch oben auf dem Berg breitet Christus segnend seine Arme aus. Er ist etwas kleiner geraten als sein „großer Bruder“ auf dem Corcovado in Rio. Ein gutes Stück unterhalb, immer noch auf einem Hügel (neben dem Stadtzentrum) steht die große Pfarreikirche. Sogar mit holzwurmzerfressener Orgel.
Die Kirche in Formiga ist das geistliche Zentrum der Pfarrei. Sechs Priester leben hier im Pfarrhaus und betreuen ein Gebiet in der Größe unseres Bistums Speyer. Die Einwohnerdichte ist wesentlich geringer, gut: Trotzdem wollen auch die Dörfer und Weiler in der Pampa von ihren Priestern besucht werden.
Mit einem dieselnden Pick-Up befahren die Priester im Laufe jeden Monats einmal ihr Pfarreigebiet. Stundenlang holpern sie so über staubige Pisten; die Hälfte davon weder geteert noch befestigt. Auf dem Dach ein großes Megaphon, mit dem sie auf sich aufmerksam machen: „Liebe Freunde, heute um 16:00Uhr ist Gottesdienst in Eurer Kirche.“
Die Menschen freuen sich, wie gesagt, auf diesen Besuch. Ein Festtag. Alt und Jung kommt in die Kirche. Die Jugendlichen mit Gitarre. Und danach trifft man sich zu Caipirinha & Cafezinho.
Gejammer? Geheule? Gemotze? Fehlanzeige. Die Menschen hier sind arm – aber nicht unglücklich. Das geistliche Zentrum ihrer Pfarrei ist weit weg – das geistliche Leben in den Gemeinden dafür um so lebendiger.
[…]
Das Bistum Speyer. Herbst 2009.
Vieles wird sich ändern. Große Umbrüche stehen an. Dinge, die es bisher gab, wird es bald nicht mehr geben. Trauer macht sich breit. Und Vorwürfe.
Klar, wir sind hier nicht in Brasilien. Wir sind halt Deutsch. Wir sind reich. Und wir hassen es, zu verzichten. Die Brasilianer dagegen müssen auf nichts verzichten (wie grotesk) – weil sie vieles einfach noch nie hatten.
Vielleicht fällt es ihnen deswegen leichter, den Geist Gottes wirken zu lassen.
Vielleicht sind sie deswegen kreativer und nehmen das Glaubensleben vor Ort ohne Motzerei selbst in die Hand (immer in Gemeinschaft mit der Kirche – & nicht dagegen).
Vielleicht ist es auch unser Reichtum, der uns so viele Wege verschließt: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher ins Reich Gottes kommt.“
Manche mögen sagen, es sei mein „jugendlicher Idealismus“, der mich hoffen lässt – für unsere Kirche und unser Bistum. (Wobei – war Jesus nicht auch etwa in meinem Alter, als er den „Alten“ die Leviten gelesen hat? – Upps, Vorsicht: Jetzt kommt gleich der Vorwurf, ich vergleiche mich mit Jesus…)
Und doch: Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr hoffe ich. Wenn wir uns hier unten auch die Köpfe einschlagen & in zähneknirschendes Geheul ausbrechen – der Heilige Geist wird Wege finden zu wirken.
Ob wir uns darauf einlassen? Das steht auf einem anderen Blatt!
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[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Carsten Leinhäuser, Ulrich Bunnick erwähnt. Ulrich Bunnick sagte: vaticarsten.de / de kaplan » Seelsorge mit Bibel, Caipirinha … http://bit.ly/1Jy74Z […]